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May 22, 2023

Chryssa: Chryssa & New York

Rund sechzig Jahre nach ihren bahnbrechenden Einzelausstellungen im Jahr 1961 in der Betty Parsons Gallery und im Guggenheim Museum steht die Pionierkünstlerin Chryssa endlich wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Chryssa & New York im Dia Chelsea ist die erste Museumsausstellung in Nordamerika seit über vier Jahrzehnten, die sich auf die in Griechenland geborene Künstlerin Chryssa Vardea-Mavromichali (1933–2013) konzentriert und ein beeindruckendes Spektrum an Arbeiten rund um Licht und Form zeigt. Chryssas Ansehen, das einst als zentrale Figur im aufkeimenden Dialog zwischen Pop-, Minimalisten- und Konzeptfraktionen galt, hat in den letzten Jahrzehnten gelitten und ihr Profil ist verblasst, da der Ruf anderer in ihrem Umfeld auf das Niveau von Heimgewerben gebracht wurde. Schon zu ihren Lebzeiten empörte sie sich über das, was sie als Mangel an angemessener Anerkennung empfand. Diese überzeugende Umfrage, die gemeinsam von der Dia Art Foundation und der Menil Collection organisiert wird, unterstreicht ihren Anspruch als weitreichende formale Innovatorin in den Bereichen Neon, Druckgrafik und Skulptur.

Die Ausstellung ist grob gegliedert: Die vordere Galerie präsentiert ihre farbenfrohen, elektrisch/neonorientierten Stücke, während die angrenzende Galerie eine gedämpfte Palette von „Low-Tech“-Arbeiten hervorhebt, darunter Materialien wie Holz, Bronze, Marmor und Gips. Unabhängig vom chromatischen oder technologischen Inhalt war Chryssa eng mit New York City als Katalysator für ihre Kunst und sogar als Grundlage für ihre Materialien verbunden. Sie berichtete von einer Art epiphanischem Erlebnis beim Anblick der Neonlichtshow in der 42. Straße und war dafür bekannt, alte Schilder und Druckplatten einzusammeln, die von örtlichen Geschäften am Times Square weggeworfen worden waren.

Americanoom (1963) erregt in der ersten Galerie mit seiner prismatischen Anordnung aus rotorangen, lindgrünen, strohgelben und himmelblauen Rohren Aufmerksamkeit. Das dumpfe Summen elektrisch beleuchteter Edelgase und das mechanische Klicken intermittierender automatischer Schalter sorgen für subtilere Wahrnehmungseindrücke. Das schwere graue Metall seiner Trägerstruktur schwächt das luftige Leuchten der Neonröhre, während seine fünf Abschnitte aus gewellten und fragmentierten Buchstaben das einzelne leuchtende Segment ausgleichen. Während Chryssa sich an Werbung und Schildern orientierte, schnitt und faltete Chryssa die Stahlbuchstaben meist auf sich selbst, wodurch eine klare sprachliche Kommunikation negiert wurde. Five Variations on the Ampersand (1966) ist in zusammenhängenden Vitrinen montiert und dehnt und verzerrt dieses typografische Symbol der Verbindung. Einige Versionen ähneln Gehirnlappen, andere ähneln versetzten oder gestapelten mittelalterlichen Labyrinthen – leuchtende Formen, die als Schlüssel zu einem urbanen, technologischen Labyrinth umgestaltet wurden.

Chryssas berühmtestes Werk, „The Gates to Times Square“ (1964–66), ist ein monumentaler, zehn Fuß großer Würfel aus Aluminium, Stahl, Plexiglas und Neon, der möglicherweise auf die Tore des klassischen Griechenlands verweist. Wieder einmal hat Chryssa die Metallbeschilderung ihres kommunikativen Inhalts beraubt, sodass nur noch die industrielle Basis aus genieteten und geschweißten Wellen und verschnörkeltem eisblauem Neon übrig bleibt. Die dynamische visuelle Balance zwischen maschinell bearbeiteten Legierungen und mundgeblasenen Glasröhren unterstreicht die nahtlose Verbindung von Handwerk und Fertigung in der Skulptur. Diese Arbeit verkörpert vielleicht das, was sie 1971 in einem WNYC-Radiointerview einmal als „den zweideutigen Moment des Zerlegens eines Schildes“ bezeichnete. Dennoch entlockt Gates griechisch-alphabetische Anregungen: Der Times Square als ihr Alpha, der Ausgangspunkt für ihren reifen Stil. Die umgekehrte V-Form erinnert auch an den griechischen Buchstaben Lambda, ein Symbol für die elektrische Leitfähigkeit, das die Leichtigkeit misst, mit der ein elektrischer Strom fließt.

Die meisten Werke im zweiten Galerieraum sind von völlig anderer Art: nicht elektrisch, hauptsächlich in traditionellen Kunstmedien und größtenteils monochrom oder duoton. „Bronze Tablet No. 2“ (1956) und „Bronze Tablet: Homage to the Seagram Building“ (1957) sind Wandtafeln aus Metall, die an unbewegliche Lettern erinnern und deren durcheinandergewürfelte Buchstaben eine Vision logorrhoischer Wiederholung vermitteln. Als Kind während des griechischen Widerstands wurde Chryssa Zeuge heimlicher Nachrichten der Rebellen per Graffiti, eine mögliche Ursache für ihre Obsession mit unzusammenhängenden und fragmentierten Texten. Ihre auf Zeitungspapieren basierenden Druckwerke aus den frühen 1960er Jahren präsentieren in einer Ecke der Galerie ein hauchdünnes Gesicht, Stücke, die deutlich älter sind als Warhols mediale Nachbildungen. Eine hybride Ausnahme ist Cycladic Movement (nd) mit vier leuchtend weißen Röhren, die in ein Raster aus weißen, griffartigen Holzformen eingelassen sind. Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass es sich bei den „Griffen“ um Blockbuchstaben handelt, die an der Unterkante befestigt sind und nach außen ragen. Auch hier verschiebt Chryssa die semantischen Zeichen der Sprache und verwandelt sie in etwas Tastbares und Dreidimensionales.

Mehrere Werke mit ähnlichen Titeln befassen sich direkt mit ihrem hellenischen Kunsterbe. Die Serie „Cycladic Book“ (1957-62/1997) besteht aus rechteckigen Platten aus weißem Marmor, die mit sanften Kurven und abgeschrägten Kanten versehen sind. Die Signatur des Künstlers ist jeweils deutlich in die rechte Seite eingeschnitten, die einzige „Schrift“ in diesen horizontalen Bänden. Cycladic Book (1957) ist eine weitere Serie dieser Buchformen, diesmal aus Gips, untergebracht in Vitrinen. Es sind keine Buchstaben eingraviert, aber die Flächen sind nicht leer. Strukturelle Pinselstriche werden durch fast gestische Rillen in der Putzoberfläche verbunden. Diese kykladisch beeinflussten Werke erinnern an die vor fünftausend Jahren in Griechenland gefundenen neolithischen Figuren, werfen aber auch einen Schatten auf die Wurzeln der aufstrebenden minimalistischen Szene und lassen auf Robert Rymans weiße Gemälde und Carl Andres weiße Styropor-Bodenstücke schließen.

„Study for the Gates“ Nr. 14 und Nr. 15 (1967) sind tief indigofarbene Neonarbeiten, deren Untertitel auf Euripedes‘ Tragödie „Iphigenie in Aulis“ verweisen. Man könnte eine Parallele zu Chryssas bisher unterschätzter Arbeit ziehen, da ein zwingendes Opfer der Frau es den Männern ermöglicht, ihre Bestrebungen und Eroberungen voranzutreiben. Sie wurde schnell als Individualistin bekannt, die der New Yorker Szene und ihren Machenschaften gegenüber äußerst skeptisch blieb; Diese oft kämpferische Haltung sogar gegenüber ihren eigenen Befürwortern der Kunstwelt behinderte wahrscheinlich ihren Schwung. Ihre einzigartige Persönlichkeit als Workaholic, die keine Angst davor hatte, jahrelang alleine an einer bestimmten Idee zu arbeiten, trug ebenfalls zu ihrer zunehmenden Isolation bei. Chryssas atypische Herangehensweise an die Sprache könnte ebenfalls ein Faktor gewesen sein, da sie anhaltende Zweifel an der Terminologie und den zusammenfassenden Schlagworten äußerte, die häufig zur Erklärung und Klassifizierung ihrer Kunst verwendet wurden. Wenn man sie nun losgelöst von zeitgenössischen Marktfaktoren betrachtet, erweist sich ihre Arbeit als voller einflussreicher Erkundungen und intensiver formaler Transformationen, die im Widerspruch zu angenommenen kunsthistorischen Erzählungen stehen.

David C. Shufordist Schriftstellerin, Musikerin und Kunstbibliothekarin und lebt in Queens, New York.

Er: Chelsea, New York David C. Shuford
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